Texte
Die Nachbarn.
Und Ich.
Sonntagmorgen im Herbst,
die Balkontür halb offenstehend.
Die Sonne scheint rein.
Ich hab
ein Hemd von gestern an
und rote Socken,
sitze aufer Couch,
trinke warmen Weisswein
aus einer dreckigen Tasse.
In meinem Kopf spielen Riesen fangen
und die Kleine der Pakistanis aus'm Ersten
spielt im Flur.
Die Glocke der Kirche nebenan
fischt nach unglücklichen Seelen,
während ich zum achten Mal in Folge
„Waltzing Mathilda“ höre.
Der 50-jährige Türke macht unsinnige Dehnübungen
und Schattenboxen vor'm Haus,
mitten auf der Wiese,
hält sich für den Größten
und das tun wir ja alle,
manchmal.
Gegenüber,
unten links,
übt wieder Jemand Klavier,
Beethoven,
ungelenk gespielt,
aber immerhin...
Hier
in diesen Blocks,
wo die Zukunft der nächste Morgen ist
und die Kopfsteinpflasterstrasse Narben hat
wie manche Seelen.
Über mir trainiert die Todesferse Galopp
und an den Garagen schleppt sich fahl
Dr. Strange entlang,
geschafft vom Nachtdienst im HalliGalli-Hotel.
An ihm vorbei quetscht sich ohne Gruß
die Alte mit dem dicken Arsch aus der 51,
Fluppe wie immer und das Hündchen
wie immer.
Ich komme mir vor wie in einem Fassbinder-Film:
starke Charaktere
und ich klage die Mißstände an!
Ich grinse und schüttel den Kopf
während ich Wein nachkippe
und mich frage,
ob auch ich in einer Story vorkomme,
gegenüber.
Arkadien
"Schach dem Großmeister"
dachte ich,
als ich mit starker Krängung in den
Laden einlief.
Warum kommt mir so ein Schwachsinn in den Kopf?
Egal.
Ich schlingerte an die Bar
und orderte einen Ricard,
der in Begleitung eines kleinen gelben
Blumenkännchens kam,
für das Wasser.
Ein komisches Getränk für einen Arbeiter
mit Halbbildung,
dachte ich.
Meine Freunde hatte ich verloren,
irgendwo in der Nacht.
Im Barspiegel sah ich zwischen den Flaschen
mein Gesicht.
Ich zwinkerte mir zu,
warum machte ich sowas?
"Schach dem Großmeister"
schon wieder!
Vielleicht wurde ich verrückt,
doch dafür war ich zu gut gelaunt.
Bei der nächsten Bestellung hatte ich
Schwierigkeiten mit der Aussprache.
Denken ging noch:
Ich sah mich am Schachbrett mit dem Tod.
Gegenschach!
Scheisse, ich bin geliefert!
Vor Angst fing ich zu summen an und
die Kellnerin schaute komisch zu mir rüber.
Neben den Flaschen hing eine vergilbte Postkarte
von den Osterinseln, die mich rausriss aus dieser
Todespartie.
Die Ränder waren nach oben gebogen
doch ich erkannte gerade noch die typischen Moai-Statuen.
Ich dachte an die Südsee,
an Java und Arkadien,
an all die verlogenen westlichen Darstellungen
von sehnsüchtigen Weissen.
Ich stellte mir Dauthendey vor
und Gauguin.
Haben sie etwas für sich gefunden,
bevor sie entkräftet starben,
allein und weit weg von der Heimat?
Ich hob den Arm und zeigte auf mein leeres Glas.
Ein letzter Drink,
der mich hoffentlich vom Grübeln
wegbringt
und mich abhält von romantisch
verklärten Hoffnungen,
die in der Ferne liegen.
Raupen
An der nächsten Ecke sehe ich
Menschen,
die knien auf Holzbänken,
'ne Ecke weiter auf Teppichen.
Andere wiederholen und wiederholen,
Vorbeter und Führer,
Anführer und Redner,
die Götter gleich und verschieden,
die Roben und Riten
verschieden
und alle haben Recht.
Recht
in ihrer ängstlichen
sterblichen
bornierten
Überheblichkeit!
Demut ist nur ein Wort,
das von Anderen eingefordert wird.
Ein Spielchen mit Intrigen,
dümmlich und profan,
während die Menschlichkeit
ins Kleingedruckte verschwindet.
Alle nennen sich Menschen,
doch je näher ich hinsehe,
desto klarer wird mir:
wir sind so sehr Menschen
wie Raupen Schmetterlinge sind!
Safran
Ich sitze hier mit Kumpel Ricard,
während irgendwo im Iran
Safrankrokusse blühen,
in einer Schönheit,
die ich kaum fassen kann!
Da ist Heilung
in den kleinsten Dingen
und jeder Schatten einer Blüte
ist Gold wert.
Pauken und Kontrabass,
Piccoloflöten und Geigen:
keine Gegensätze mehr,
Schätze einer Skala!
Worte sind Worte
und
Dinge sind Dinge,
doch nur du und ich
verleihen jedem Schatten
Sinn,
durch unser Tun
und unsere Erinnerungen.
Übermüdet Zähneputzen in der Nacht
Ich schaue mich zwei Minuten an
prüfend
ein seltsames Gefühl
die jüngeren Versionen - weg!
Ein Gesicht wie eine Masse Ton,
die linke Hand, auf die ich mich
stütze
wie tot und nicht zu mir gehörend.
In Wahrheit steht hier nur ein
Gedanke - eine innere Stimme.
Nie bin ich wie ein Kind
oder ein Vogel - unmittelbar.
Immer distanziert,
während draußen der kalte Wind
von einer Nacht erzählt,
die nicht wiederkommt.
SAKURA
Hinter der Zeit
lauert die Ewigkeit
still und unveränderlich
ein starres Bild
ohne Abfolge
ein eingefrorener Zustand
die Abwesenheit von Zeit
kein Entwickeln
kein Vergehen
wie schön eine Kirschblüte
unfassbar eine Melodie!
…und zwischendurch immer noch
Ich schaff‘ es nicht
ein weiterer Arbeitstag
die morgendliche Routine
dieser Weg
„Hallo“
die Fressen
die gespielte Ernsthaftigkeit
alles Dreck
Zeitklau und Mumpitz!
„Mahlzeit“
Nicht zu fassen
Ich schaff‘ es nicht
der nächste Winter
das nächste Weihnachten
katholisch sein
Familienessen
unehrlich
unaufrichtig
Vorsätze zu Neujahr
Narren in Charge
allenthalben
„Mahlzeit“…
Und zwischendurch immer noch
Frühling und Bach
Mammas und Ommas
mit ihren Sachen
Linien von Blättern
von Händen
von Rücken
blaugrüne Himmel
und Phantasien
mehr als Farben
im bescheuerten Display
Ich schaff‘ es nicht
der Moloch der Zeit
Armut und Unbill
immer fehlt etwas!
Die Schäbigkeit des Sterbens
der Tod unbegreiflich
weitermachen
durchhalten
leiden und leiden
Selbstbetrug
weitermachen
Und zwischendurch immer noch
Humor und Nonsens
Vorschulkinder
die mich umbringen!
Erinnerungen
Vorstellung
und Liebe
zum Detail und
zum Nächsten
Loyalität und
Vertrauen!
Armin, Blues und das
abgetragene Leben
Das Leben hatte uns an die gleiche
Wand verschlagen,
in diese Siedlung
direkt an den Gleisen.
Die Wände waren original Origami
und so hörte ich beim Nachbarn
komische Geräusche,
zu jeder Tageszeit.
Plopp ... Plopp...
gefolgt von irren Schreien,
auch sonntagmorgens, 10.00 Uhr.
Plopp ... Plopp
So ließ auch ich den Kaffee weg
und radelte
an der Kirche vorbei
zum Kiosk.
Mit klimperndem Rucksack zurück
klingelte ich beim neuen Nachbarn
und wurde ins Ritual aufgenommen.
Armin steckte knietief im Blues
und irgendwann verstand ich zum erstenmal,
worum es dabei geht.
Da gab es glorreiche Abende ohne plärrende Frau,
der Fernseher blieb ausgeschaltet.
In der gleißenden Behaglichkeit
des Suffs in einem verstaubten
Zimmer zu sitzen und Robert Johnsons
durchdringender Stimme zuzuhören,
all das gab mir ein heroisch-gelassenes Gefühl
für den nächsten Arbeitstag.
Ich sah braune Baumwollanzüge mit weissem Hemd,
schwarzem Schlips und Hut dazu,
schief abgelatschte verstaubte Schuhe.
Staub
von unbefestigten Landstraßen,
Juke Joints in grob genagelten windschiefen Buden.
Schweiss, Energie und der Geruch nach Spass und Flucht.
Segregation in jedem Moment,
ein tägliches auf der Hut sein.
Zum Durchhalten Alcorub oder Canned Heat.
Und natürlich den Blues.
Geh nicht gelassen in die gute Nacht
Geh nicht gelassen in die gute Nacht
An Deiner Tage End, Greis – brenn und fluch
Dem Todeslicht kühn ins Gesicht gelacht
Weise fügen sich der Dunkelheit Macht
Kein leuchtend Blitz in ihrer Schriften Buch
Geht nicht gelassen in die dunkle Nacht
Die Guten reuig ihrer schwachen Schlacht
wie ein verlor’ner Tanz auf grünem Tuch
Dem Todeslicht kühn ins Gesicht gelacht
Die Wilden besingen der Sonne Pracht
im Flug, ein Trug - ein vergeblicher Versuch
Geht nicht gelassen in die dunkle Nacht
Die Ernsten starren in die Todesnacht
Im blinden Blick blitzt grell des Lebens Siegesspruch
Dem Todeslicht kühn ins Gesicht gelacht
Und Du, Vater in der Grameshöhen Wacht
Ich bete durch Deiner Tränen Segensfluch
Geh nicht gelassen in die dunkle Nacht
Dem Todeslicht kühn ins Gesicht gelacht
Dylan Thomas' "Do not go gentle into that good night"
Übersetzung: J. Heymann
Do not go gentle into that good night
Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.
Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.
Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.
Wild men who caught and sang the sun in flight,
And learn, too late, they grieved it on its way,
Do not go gentle into that good night.
Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.
And you, my father, there on the sad height,
Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.
